Aktuell sorgt ein Papier aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz für Furore. Es trägt den unverfänglichen Namen Strommarktdesign der Zukunft. In Wirklichkeit bedeutet es für große Industrieunternehmen und die an ihnen hängenden Ketten mittelständischer Zulieferer eine 180-Grad-Wende der aktuellen energetischen Produktionsbedingungen. Auch der Untertitel Optionen für ein sicheres, bezahlbares und nachhaltiges Stromsystem führt in die Irre. Die Strompreise werden eher steigen, und die Versorgung wird alles andere als sicher sein.
Marktdesign der Zukunft
Das Papier wurde im Juli 2024 mitten in der Sommerpause publiziert und lief bisher unter dem Radar der Medien. Energieexperte Prof. Dr. Fritz Vahrenholt war einer der ersten, der das Konzept Anfang August öffentlich thematisiert hat. Hier seine detaillierte Ausarbeitung dazu. Das Marktdesign der Zukunft soll auf mehreren Säulen basieren.
100 Prozent erneuerbare Energien
Im Juni 2024 lag ihr Anteil am Stromverbrauch in Deutschland bei 57 Prozent. Das liegt nicht nur daran, dass die Erzeugungskapazitäten von Wind- und Solaranlagen ausgebaut wurden, sondern auch am Rückgang des Stromverbrauchs in Deutschland. Er ist vom Spitzenwert 2007 mit 624 Terrawattstunden auf 525 Terrawattstunden 2023 gesunken. Darin spiegelt sich auch die voranschreitende Deindustrialisierung wider. So sank die Industrieproduktion in den letzten fünf Jahren um 18 Prozent.
Wasserstoffkraftwerke als Backup
Eine Stromversorgung, die zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien beruht, benötigt aufgrund der wetterbedingten Dunkelflauten, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, Stromspeicher, ausländische Lieferanten, Backup-Kraftwerke und eine flexible Nachfrage. Stromspeicher für solche Mengen sind technologisch noch nicht verfügbar. Auch der Stromimport aus Frankreich oder Polen im Rahmen des europäischen Verbundsystems hat buchstäblich seine Grenzen.
Die Politik setzt auf Wasserstoffkraftwerke, die die aktuellen Gaskraftwerke ersetzen sollen. Doch diese Technologie ist nach Berechnungen von Fritz Vahrenholt zehn Mal teurer. Zudem sind solche Kraftwerke aktuell technisch noch gar nicht möglich.
Flexibilisierung der Stromnutzung
Hierunter fallen im Konzeptpapier die lokale Flexibilisierung und die Flexibilisierung der Stromnachfrage. Das Angebot soll sich demnach, wie im Mittelalter die Windmühlen, danach richten, ob und wann der Wind weht oder die Sonne scheint.
Teuer wird es bei diesem Plan vor allem für rund 400 industrielle Großverbraucher. Sie zahlen seit 2005 im Rahmen des sogenannten Bandlast-Privilegs nur 20 Prozent der für den Stromtransport anfallenden Netzentgelte. Da sie mehr als 7.000 Stunden Strom pro Jahr verbrauchen, sorgen sie im bisherigen System für eine Grundlast und Netzstabilität. Mit dem neuen Modell fällt dieser Preisvorteil weg. Es werden dann nur die Industrieunternehmen mit Rabatten belohnt, die flexibel dann produzieren, wenn Strom verfügbar ist, und ihre Anlagen herunterfahren, wenn Dunkelflaute herrscht.
In der Praxis sind jedoch nur wenige Industrieunternehmen in der Lage, ihre Anlagen beliebig hoch- und runterzufahren. Falls das überhaupt möglich ist, dann nur zu hohen Kosten. Zudem werden nicht nur die 400 Großverbraucher z. B. aus der chemischen Industrie betroffen sein, sondern auch ihre mittelständisch geprägten Lieferketten, die dann ebenfalls synchron flexibilisieren müssen.
Das im Titel als harmlos daherkommendes Strommarktdesign der Zukunft soll bereits zum 1.1.2026 in Kraft treten. Für viele Produktionsbetriebe, die bis dahin nicht schon das Weite gesucht haben, wird das dann das Ende sein, weil sie die technologischen Voraussetzungen nicht schaffen oder durch die enorme zusätzliche Kostenbelastung nicht mehr wettbewerbsfähig sein werden. Kein Wunder, dass die Wirtschaftsverbände gerade aufwachen und Alarm schlagen.